Donnerstag, 31. Juli 2008

Türk. Regierungspartei ist "verfassungsgemäß"

(Presseerkläung) Zum Urteil des türkischen Verfassungsgerichtes, die Regierungspartei AKP nicht zu verbieten, erklärt der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Walter Kolbow:

Türkisches Verfassungsgerichtsurteil stärkt Europa-Orientierung der Türkei

Die SPD begrüßt, dass sich im höchsten türkischen Gericht letztendlich doch die Vernunft durchgesetzt hat, auch wenn die Entscheidung nur denkbar knapp ausgefallen ist. Ein Verbot der AKP hätte die Türkei zweifellos in eine tiefe Krise gestürzt und ihren Weg nach Europa empfindlich gebremst. Auch die wichtigen Vermittlungsbemühungen der Türkei zwischen Israel und Syrien wären damit in Gefahr geraten.

Ein Verbot der AKP wäre zwar formaljuristisch zulässig gewesen, die rechtliche Basis dafür aber wäre mehr als fragwürdig. Mit europäischen Rechtsnormen, die die Türkei in ihrem EU-Beitrittsprozess schrittweise übernehmen muss, haben die bisherigen türkischen Parteienverbotsregularien nichts zu tun. Es wird nun höchste Zeit, diese absurden Regeln in einem weiteren Reformschritt abzuschaffen.

Wie überall auf der Welt muss auch in der Türkei eine religiöse Orientierung politischer Parteien erlaubt sein. Bisher war nicht zu sehen, dass die AKP damit eine demokratiefeindliche radikal-islamistische Gottesstaatsideologie anstrebt. Die Regierung Gül/Erdogan hat längst durch praktische Politik bewiesen, dass ihr die Westorientierung und Modernisierung der Türkei mehr am Herzen liegt als manchen selbst ernannten reaktionären Hütern eines erstarrten Kemalismus.

Die SPD gratuliert der türkischen Staatsspitze zu diesem Urteil und ermutigt die Führung der AKP, ihren europa-orientierten Weg durch weitere mutige Reformen weiterzugehen. Dies bedeutet eine Modernisierung der Verfassung ebenso wie eine grundlegende Verbesserung der Menschenrechtssituation und des Verhältnisses zur kurdischen Bevölkerungsgruppe. Das Urteil macht aber auch klar, dass die Regierung allen Bestrebungen entgegentreten muss, die versuchen, die islamische Orientierung dazu zu missbrauchen, laizistische Grundsätze aufzuweichen und gesellschaftliche Freiheiten, insbesondere der Frauen, einzuschränken.

  • Diskussion
  • Freitag, 11. Juli 2008

    Türkei: PKK entführt drei deutsche Touristen

    Provinz Ağrı (Türkei), 11.07.2008 – Drei deutsche Bergtouristen sind am Mittwochabend, den 9. Juli 2008 im Ararat-Gebirge von PKK-Kämpfern entführt worden. Die anderen Mitglieder der insgesamt 13-köpfigen Bergsteigergruppe wurden von der Polizei in Sicherheit gebracht. Unterdessen ist mit einer großangelegten Suche durch die türkische Grenzpolizei begonnen worden. Nach Informationen, die der Sender Phoenix lieferte, hängt die Entführung mutmaßlich mit der Schließung einer Produktionsfirma in Wuppertal zusammen, die dem dänischen Fernsehsender Roj TV zuarbeitete. Alle drei Bergsteiger stammen aus Bayern (Straubing). +wikinews+

    Mittwoch, 2. Juli 2008

    Staatskrise in der Türkei spitzt sich zu

    +wikinews+ Istanbul (Türkei), 02.07.2008 – Das Verbotsverfahren gegen die Regierungspartei des amtierenden türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan, Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP), droht die Türkei in eine schwere Verfassungskrise zu stürzen. Gestern hielt der Staatsanwalt Abdurrahman Yalçınkaya vor dem türkischen Verfassungsgerichtshof sein Schlussplädoyer, in dem er den Verbotsantrag gegen die AKP erneut bekräftigte. Neben dem Parteiverbot für die AKP fordert der Staatsanwalt auch ein Verbot von politischen Aktivitäten für 71 hochrangige Parteivertreter, darunter den Ministerpräsidenten Erdoğan sowie den Präsidenten Gül. Der Hauptvorwurf gegen die AKP besteht in der Aussage, die Partei betreibe eine schleichende Islamisierung des Landes und verstoße damit gegen den Verfassungsgrundsatz der Trennung von Staat und Religion (Laizismus). Wörtlich sagte der Staatsanwalt: „Die AKP will die Schari'a-Rechtsordnung einführen, dies stellt eine offene und unmittelbare Bedrohung dar.“

    Die AKP hatte bei den letzten Parlamentswahlen im letzten Jahr mit 47 Prozent knapp die Hälfte der Wählerstimmen erhalten. Die Partei organisiert zurzeit ihre Anhänger und ruft sie zu Großdemonstrationen gegen die Versuche auf, die AKP zu verbieten. Mit befreundeten Organisationen schloss sich die AKP zu einer politischen Plattform zusammen, die ihre Anhänger „gegen die Putschgefahr“ mobilisiert. Ob diese Gefahr real ist, ist Gegenstand einer heftigen politischen Kontroverse in der Türkei.

    Während der Staatsanwalt vor dem Gericht sein 90-minütiges Plädoyer hielt, ging die Polizei in Ankara mit einer Großrazzia gegen Regierungsgegner vor. Dabei wurden 24 Menschen verhaftet, darunter ein leitender Journalist einer oppositionellen Zeitung. Außerdem wurden zwei Ex-Generäle festgenommen, denen Putschvorbereitungen gegen die amtierende Regierung vorgeworfen werden. Die Generäle gehören einer oppositionellen Bewegung an, die Proteste gegen die Regierung organisiert hatten.

    Am 3. Juli wird eine Verteidigungsrede des stellvertretenden AKP-Vorsitzenden Cemil Çiçek erwartet. Mit einem Urteil wird gegen Ende August gerechnet. Für den Fall eines gerichtlichen Verbots der AKP, für das nach Ansicht politischer Beobachter einiges spricht, hat der amtierende Ministerpräsident bereits Pläne zur Erhaltung seiner politischen Macht geschmiedet. Medienberichten zufolge plant Erdoğan dann die zügige Neugründung einer neuen Partei, die die Mitglieder der dann möglicherweise verbotenen AKP aufnehmen soll. Erdoğan könnte bei Wahlen auch als unabhängiger Kandidat antreten. Der Kampf um die politische Macht in der Türkei zwischen Verfechtern der Trennung von Staat und Religion, den sogenannten Kemalisten, und den AKP-Anhängern ginge dann in eine neue Runde.

    Wie die türkische Zeitung „Milliyet“ am Montag berichtete, sind mehr als die Hälfte der türkischen Bevölkerung (53,3 Prozent) gegen ein AKP-Verbot.

    Die gegenwärtige Verfassungskrise bildet den juristischen Rahmen eines Kampfes, der um politische Macht und Einfluss entbrannt ist, bei dem es aber auch um die kulturell-politische Grundorientierung der künftigen gesellschaftlichen Entwicklung der Türkei geht. In der türkischen Gesellschaft stehen sich entgegengesetzte Lebensentwürfe gegenüber. Auf der einen Seite stehen die an einem westlichen Lebensstil orientierten städtischen Bevölkerungsschichten und auf der anderen Seite steht die an religiös-konservativen Werten festhaltende ländliche Bevölkerung.