Zur Verhaftung kritischer Journalisten in der Türkei erklären Claudia Roth und Cem Özdemir, Bundesvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 08.03.11:
„Die laufenden Ermittlungen zur Ergenekon-Gruppe und ihren Putschplänen müssen konsequent durchgeführt werden. Dabei müssen auch die Verantwortlichen für den Mord an Hrant Dink und mögliche Hintermänner der Tat vor Gericht gebracht werden. Bei ihren Ermittlungen muss sich die Staatsanwaltschaft jedoch konsequent im rechtsstaatlichen Rahmen bewegen. Teile der türkischen Justiz und Politik kranken daran, dass sie sich immer wieder selbst über das Recht stellen. Es ist inakzeptabel, dass im Zuge dieser Ermittlungen Personen und Medienvertreter eingeschüchtert werden, die mit Ergenekon nichts zu tun haben, aber offenkundig manchen durch ihre kritische Berichterstattung ein Dorn im Auge sind.
In Nordafrika besteht die greifbare Chance für einen historischen Wandel hin zur Demokratie. Wenn die Türkei für die Länder Nordafrikas und der arabischen Halbinsel tatsächlich ein Vorbild sein soll, dann als ein islamisch geprägtes Land, in dem Rechtsstaat und Demokratie nicht nur auf dem Papier stehen, sondern im Zusammenwirken zwischen Politik, Justiz und Zivilgesellschaft und selbstverständlich auch bei innenpolitischen Konflikten gelebt und weiterentwickelt werden. Eine Türkei, in der Willkür herrscht, Pluralismus auf dem Rückzug ist und ethnische und religiöse Minderheiten in ihren Rechten massiv eingeschränkt werden, kann anderen islamisch geprägten Staaten keinen glaubwürdigen Weg zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit weisen – und dann auch nicht als Modell für die Vereinbarkeit von Demokratie und Islam dienen.
Wir Grüne haben den Weg einer reformorientierten Türkei Richtung Europa von Anfang an unterstützt und kritisch begleitet. Das Ziel der laufenden Beitrittsverhandlungen muss die Mitgliedschaft der Türkei in der EU sein. Zu diesem Zweck muss Ankara den Reformzug wieder auf die Gleise setzen, sich weiter demokratisieren, Rechtsstaatlichkeit stärken und sich an einem säkularen Gesellschaftsmodell orientieren, das den Bürgerinnen und Bürgern die Entfaltung ihrer Freiheiten in Achtung der Freiheit anderer erst ermöglicht. Dazu gehört für uns übrigens auch, dass in einer Demokratie der Ministerpräsident nicht meint, einen bestimmten Familienstand für Beamte vorschreiben zu können. Es ist aus unserer Sicht auch nicht die Aufgabe eines Regierungschefs, seinen Bürgern ‚ideale‘ Kinderzahlen von möglichst drei Kindern vorzugeben. Seine kulturellen Interessen sollten ihn auch nicht dazu verleiten, als selbsternannter oberster Beauftragter für Kunstgeschmack gegen kritische Kunst zu wettern und deren Zerstörung zu fordern, wie etwa beim Mahnmal für Völkerverständigung in Kars."